„Überall wo sich die Brandung an der Küste schäumend bricht, tun deutsche Landungsboote für die Freiheit ihre Pflicht.
Ja, sie wachen für den Frieden, für die Freiheit in dem Land.
Kämpfend steh`n die Landungsboote mit der Truppe Hand in Hand.“
Laut tönte das Lied durch den Raum, intoniert von mehr oder weniger angenehmen Jungmännerstimmen. Ich drehte den Kopf. Hinter mir, an einem langen Tisch saß eine Gruppe von Männern in olivgrün. Ihre roten Barette schauten unter den Schulterklappen hervor. Ich wandte mich meinem Nebenmann zu, der wie zu erwarten war, blaue Hose und weiße Matrosenbluse trug, denn ich befand mich in der Kantine der Marinekaserne in Wilhelmshaven. Ich legte dort meine dreitägige Eignungsprüfung ab.
„Was sind denn das für welche? Und wieso olivgrün?“
Er winkte ab. „Das sind die 76er. Die halten sich für die Elite der Marine …“
„76er?“
„Ja, Fachrichtung 76. Jede Fachrichtung hat eine Nummer. Ich gehöre zur Fachrichtung 11. Das ist seemännischer Dienst. 76 ist die Küstensicherung. Ist eine Landeinheit.“
„Und das Lied?“
„Das ist das Lied der Landungsboote. Die 76er machen wohl Anlandungsübungen an Stränden mit den Dingern, deshalb das Lied.“
Die Melodie gefiel mir ganz gut, der Text nicht so ganz. Aber man kann nicht alles haben. Das hatte ich heute Morgen schon mal gedacht. Nämlich als man mir mitteilte, dass ich, da ich nicht gegen Pocken geimpft war, nicht borddienstverwendungsfähig war. Ich hatte mich zur Marine gemeldet um meinen Wehrdienst auf irgendeinem Schiff abzuleisten. Ich wollte aufs Wasser. Erschien mir attraktiver als irgendwo als Schütze Arsch im Gelände rumzurobben. Aber der Traum, an Bord eines Schiffes, die Welt zu erkunden, war ausgeträumt.
Tja, sah ja so aus, als hätte ich einen Kompromiss gefunden.
Denn hier schien sich nun mit den Landungsbooten eine Möglichkeit zu ergeben, doch aufs Wasser zu kommen. Wahrscheinlich nur in Küstennähe, aber besser als nichts.
Am nächsten Tag, es war der letzte Tag der Eignungsprüfung, teilte ich dem Verantwortlichen mit, dass ich gern zu den Landungsbooten wollte. Er lachte und sagte: „Sie meinen die Küstensicherung, die 76er.“
„Ja, die meine ich.“
„Gut. Wie ich aus Ihren Unterlagen sehe, geht diese Einheit für Sie in Ordnung. Ich vermerke das. Sie werden dann zu der Truppe einberufen werden. Der Bescheid geht Ihnen zu.“ Ich freute mich riesig. Hatte doch noch ganz gut geklappt. Beruhigt fuhr ich nach Marburg zurück.
„Reise, Reise, Aufstehen!“ Dann folgte der gellende Pfiff der Bootsmannsmaatenpfeife. Jetzt war es aber kurz vor voll! Nichts wie raus aus der Koje!
Vor fünf Minuten war schon „gelockt“ worden. „Locken“ war das leise Pfeifen mit der Signalpfeife und immer demselben Singsang „Eine Hand am Sack, eine am Socken. Seemann schlaf weiter, das war nur das Locken!“
Seemann war gut. Ich war jetzt schon drei Wochen bei der Bundesmarine, hatte aber noch kein Salzwasser gesehen. War auch nicht vorgesehen, gehörte ich doch zu dieser Landeinheit zu der ich mich selbst gemeldet hatte.
Zurzeit befand ich mich an der Marineunteroffizierschule in Plön, um hier die Grundausbildung abzuleisten. Danach sollte noch der Fachlehrgang 1 folgen und irgendwann der normale Dienst.
Doch erst mal war ich selbst nur ein sogenannter „Rotarsch“ und hatte nicht viel zu melden. Das wurde mir auch diesen Morgen wieder klar, als ich noch vor dem Backen und Banken, also vor dem Frühstück, meine Reinschiffstation auf dem Schwarzen Deck bezog. Als man mir vor zwei Wochen diese Station zuwies, war ich von den Bezeichnungen im Marinejargon total begeistert. Leider stellte sich heraus, dass das Schwarze Deck der Keller des Kasernenblocks war und die Reinschiffstation selbst die dort befindlichen Toiletten, die ich zu reinigen hatte. Das machte aber sehr gut meinen Stellenwert in der deutschen Bundesmarine klar.
Auch mein Traum vom Dienst auf einem Landungsboot war schnell ausgeträumt gewesen. Schon am ersten Tag hatte mir unser Zugführer Bootsmann Becker auf meine Frage nach den Landungsbooten lachend mittgeteilt, dass diese schon längst außer Dienst gestellt seien, da die heutige Bundeswehr nur defensive Aufgaben hätte, Landungsboote aber offensiven Zwecken dienten. Was denn mit dem Lied der Landungsboote sei, fragte ich daraufhin. Da diese vor Jahren zur Küstensicherung gehört hatten, hätte man das Lied eben übernommen. Ich wäre nicht der Erste, der sich durch das Lied hereingelegt fühlte, wenn er seinen Dienst bei der Küstensicherung antrat. Er lachte wieder.
Und danach waren wir ins Gelände gezogen, wie wir das seitdem fast jeden Tag getan hatten. Wir hoben Schützenlöcher aus, bauten Sprengfallen, legten Minen und marschierten bis wir Blasen an den Füßen hatten. Von den anderen Einheiten, die ebenfalls in der Kaserne beheimatet waren und die im „Weißen Päckchen“, also der weißen Marineuniform herumstolzierten, wurden wir nur „Spatenpaulis“ genannt. Sie belächelten uns, meinten wir seien nur zum Sandschippen am Strand geeignet. Irgendwie kam ich mir verarscht vor. Da hätte ich auch zum Heer gehen können. Es half aber nichts, da musste ich nun durch. Ich verpflichtete mich aber nicht wie ich das anfangs vorgehabt hatte auf eine längere Dienstzeit, sondern leistete nur meinen Grundwehrdienst ab.
Doch immer wenn ich mich in meinem Leben in irgendeiner Weise übervorteilt fühle, fällt mir das Lied der Landungsboote ein. Der Boote, die ich nie gesehen habe.